Praxishandbuch Grundlagen Themenstellungen Arbeitsfelder Praxisbeispiele
Väter in Beruf - Familie - Freizeit Thema Zeit für Väter Ein Modul für Väter-Treffen In einem Interview zum Jahresende antwortete ein deutscher Nobelpreisträger auf die Frage, was er sich am meisten für das neue Jahr wünsche: Mehr Zeit für mich und die Familie. Ein Wissenschaftler, der den größten Erfolg für sich verbuchen konnte, wünscht sich mehr Zeit. Ist das erstaunlich? Nach heutigen Maßstäben ja, denn er hat alles erreicht; andererseits fehlt ihm offensichtlich etwas. Zeit ist das Kostbarste im Leben, weil unwiederbringlich, wenn sie vorbei ist. Die Begrenzung des Lebens macht sie so wichtig. Das bringt Benjamin Franklin treffend zum Ausdruck, wenn er sagt: "Die Zeit ist der Stoff aus dem das Leben gemacht ist." Damit Zeit als er-füllt erlebt werden kann muss sie ge-füllt werden. Die dahin fließende Zeit muss durch Erlebnisse erfahrbar gemacht werden. Möglichst durch solche, die Bestand haben, wenn ich auf sie zurückblicke. Dazu gehört in erster Linie das Leben von und in Beziehungen. Sie machen das Leben reich und geben mir das Gefühl "sinnvoll" gelebt zu haben. Viele Väter wünschen sich eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit und flexiblere Möglichkeiten diese zu gestalten, das machen die Umfrageergebnisse zu diesem Thema deutlich. Sie ahnen oder haben es bereits klar erkannt, allein die Arbeit macht nicht zufrieden. Mehr und mehr Väter nehmen sich die Zeit für Familie, die Kinder. Sie spüren, dass sie dabei eine Menge gewinnen. Z. B. intensivere Beziehungen zu ihren Kindern, das Erleben ihrer Entwicklung. "Kinder fordern uns heraus, unsere Grenzen zu markieren und zu sagen, wo wir stehen. Man kann auch sagen: Kinder erziehen uns dazu, ehrlich und authentisch zu reagieren, statt uns hinter Pseudoautoritäten, Sachzwängen und Spruchweisheiten zu verstecken. … Eine der größten Herausforderungen mit Kindern liegt darin: Man muss lernen, sich dazu zu bekennen, dass man dieses will und jenes nicht." (Jörg Lau in der "Zeit") Das gelingt nur, wo wir uns Zeit für Kinder nehmen. Es gibt viele Gründe über die Gestaltung der eigenen Zeit nachzudenken. Nicht zuletzt die neu wachsende Sensibilität für die Gefahren des "Burnout". Und es gibt auch einen männerspezifischen Umgang mit Zeit. Ein Gesprächsabend mit anderen Männern ist darum ein erster Anstoß. Sich ein Wochenende Zeit zu nehmen und neu auszurichten, könnte ein zweiter Schritt sein. Fragen zu Beginn des Gespräches: Wie habe ich heute (in der letzten Woche) meine Zeit verbracht? Wie viel Zeit habe ich für welche Dinge verwandt? Was war befriedigend, was war frustrierend? Was ist für mich sinnvoll gestaltete Zeit? Wie viel Zeit wende ich für die wichtigen Dinge im Leben auf? Möglichkeiten der Vertiefung Psalm 90 gemeinsam lesen, in einer Zeit des Schweigens wirken lassen: Welcher Vers spricht mich spontan an? Dann den folgenden Fragen nachdenken: Was sagt der Psalm über die Zeit aus? Was ist hilfreich, was ärgerlich? Womit bin ich nicht einverstanden? (In gleicher Weise könnte auch der Text Prediger 3,1-11 behandelt werden) Austausch in der Gruppe Das hier hinterlegte Gedicht (J. L. Borges zugeschrieben) austeilen, lesen. Entsprechen meine bisherigen Erfahrungen den Aussagen des Dichters? Worin unterscheiden sie sich? Was sagt er über die Zeit aus? Welche Perspektiven kann ich von diesem Gedicht her in den Blick bekommen? Die großen Kieselsteine des Lebens Eines Tages wurde ein alter Professor der französischen nationalen Schule für Verwaltung gebeten, für eine Gruppe von etwa fünfzehn Managern großer nordamerikanischer Unternehmen eine Vorlesung über sinnvolle Zeitplanung zu halten. Dieser Kurs war eine von fünf Stationen ihres eintägigen Lehrgangs. Der Professor hatte daher nur eine Stunde Zeit, sein Wissen zu vermitteln. Zuerst betrachtete der Professor in aller Ruhe ein Mitglied nach dem anderen dieser Elitegruppe. Sie alle waren bereit, gewissenhaft zu notieren, was der Fachmann ihnen jetzt beibringen würde. Schließlich teilte er seinem Publikum mit: "Wir werden ein kleines Experiment durchführen." Der Professor zog einen großen Glaskrug unter seinem Redepult hervor und stellte ihn vorsichtig darauf. Dann holte er etwa ein Dutzend Kieselsteine, etwa so groß wie Tennisbälle, hervor und legte sie sorgfältig, einen nach dem anderen, in den großen Krug. Als der bis an den Rand voll war und kein weiterer Kieselstein mehr darin Platz hatte, blickte er langsam auf und fragte seine Schüler: "Ist der Krug voll?" Und alle antworteten: "Ja". Er wartete ein paar Sekunden ab und fragte seine Schüler: "Wirklich?" Dann verschwand er erneut unter dem Pult und holte einen mit Kies gefüllten Becher hervor. Sorgfältig verteilte er den Kies über die großen Kieselsteine und bewegte dann leicht den Krug hin und her. Der Kies verteilte sich zwischen den großen Kieselsteinen bis auf den Boden des Krugs. Der Professor blickte erneut auf und fragte sein Publikum: "Ist dieser Krug voll?" Dieses Mal begannen seine gelehrigen Schüler, seine Darbietung zu verstehen. Einer von ihnen antwortete: "Wahrscheinlich nicht!" "Gut!", antwortete der Professor! Er verschwand wieder unter seinem Pult und holte diesmal einen Eimer Sand hervor. Vorsichtig kippte er den Sand in den Krug. Der Sand füllte die Räume zwischen den großen Kieselsteinen und dem Kies auf. Wieder fragte er: "Ist dieses Gefäß voll?" Dieses Mal antworteten seine begabten Schüler ohne zu zögern im Chor: "Nein!" "Gut", antwortete der Professor. Und als hätten seine wissbegierigen Schüler nur darauf gewartet, nahm er die Wasserkanne, die unter seinem Pult stand, und füllte den Krug bis an den Rand. Dann blickte er auf und fragte seine Schüler: "Was können wir aus diesem Experiment lernen?" Der Kühnste unter seinen Schülern - besonders einfallsreich - dachte an das Thema der Vorlesung und antwortete: "Daraus lernen wir, dass, selbst wenn wir denken, dass unser Zeitplan schon bis an den Rand voll ist, wir, wenn wir es wirklich wollen, immer noch einen Termin oder andere Dinge, die zu erledigen sind, einschieben können." "Nein", antwortete der Professor, "darum geht es nicht. Was wir wirklich aus diesem Experiment lernen können ist folgendes: Wenn man die große Kieselsteine nicht als erstes in den Krug legt, werden sie später niemals alle hineinpassen." Es folgte ein Moment des Schweigens. Dann fragte er: "Was sind in eurem Leben die großen Kieselsteine? Eure Gesundheit? Eure Familie? Eure Freunde? Die Realisierung eurer Träume? Das zu tun, was euch Spaß macht? Dazuzulernen? Eine Sache verteidigen? Entspannung? Sich Zeit nehmen ...? Oder etwas ganz anderes? Was wirklich wichtig ist, ist dass man die großen Kieselsteine in seinem Leben an die erste Stelle setzt! Wenn nicht, läuft man Gefahr, es nicht zu meistern ... sein Leben. Wenn man zuallererst auf Kleinigkeiten achtet (der Kies, der Sand), verbringt man sein Leben mit Kleinigkeiten und hat nicht mehr genug Zeit für die wichtigen Dinge in seinem Leben. Deshalb vergesst nicht, euch selbst die Frage zu stellen: 'Was sind die großen Kieselsteine in meinem Leben?' Dann legt diese zuerst in euren Krug des Lebens!" (Quelle unbekannt) Besonders eindrucksvoll ist es das Experiment nachzuspielen. Ein Gespräch kommt dann fast von allein in Gang. Meditation Danach könnte eine Meditation angeschlossen werden: Für welche wichtigen Dinge (große Steine) will ich in meinem Leben unbedingt Zeit haben. Große Steine (ca. 10-15 cm, fünf pro Person) werden verteilt und jeder schreibt mit einem entsprechenden Filzer seine Punkte, die für ihn an erster Stelle stehen, auf die Steine. Anschließend werden die Ergebnisse in der Runde vorgestellt. Karlheinz A. Geisler, Vom Tempo der Welt, Verlag Herder 1999 Das letzte Kapitel "Drei Schritte in eine andere Zeit-Kultur" lesen oder von einem aus der Gruppe referieren lassen. Wo berühren die Aussagen Geislers unseren Alltag? Welche Vorschläge können uns helfen das Leben befriedigend zu managen. Was will ich in der nächsten Zeit ändern? Konkretes Nachdenken über Veränderungen. Jeder teilt den anderen in der Runde mit, was er an Erkenntnissen gewonnen hat und was er umsetzen will. Politik Zeit, das darf neben den persönlichen Entscheidungen nicht vergessen werden, ist auch ein brisantes politisches Thema. Viele Männer können nicht über ihre Zeit bestimmen und sind derart fremden Einflüssen ausgesetzt, dass es für sie kaum möglich ist, über ihre Zeit nachzudenken. Sie leiden nur noch unter den bestehenden Zuständen. Solchen Männern Zeit schenken, ihnen zuzuhören, Anteil nehmen an ihrem Schicksal, könnte eine Aufgabe von Vätertreffen sein. Politisch ist es in diesem Zusammenhang wichtig, den Irrtum im konservativen Familienbild offen zu legen, nämlich zu meinen, mit den scheinbaren Erfordernissen einer Wirtschaft nach unbegrenzter Flexibilität die Rahmenbedingungen für eine Bewahrung der Familie erreichen zu können. (vgl. Reinhard Höppner) Literatur Karlheinz A. Geisler, Vom Tempo der Welt, Herder 1999/ 2004 Karlheinz A. Geisler, Zeit - verweile doch… Lebensformen gegen die Hast, Verlag 2000 Birgit Sych, Rennst du noch - oder lebst du schon?, Brunnen 2005 www.zeitpolitik.de Jürgen Rams