„Träum nicht!“ Wer hat diesen Satz nicht irgendwann einmal als Kind gehört? Wenn wir
selbstvergessen und gedankenverloren „neben uns“ standen, glücklich in Fantasien
versunken, in einer eigenen Welt.
Neben uns standen dann Eltern, eine Erzieherin, ein Lehrer, der uns mit wachsender
Ungeduld auf etwas hinweisen wollte, was für ihn oder sie gerade wichtig und
unaufschiebbar war. Inzwischen kennen wir das aus der eigenen
Erwachsenenperspektive. Beim besten Willen ist es oft schwer, sich zurückzuhalten und
ein Kind, das zu jedem Schritt ermuntert werden muss, zur nächsten folgerichtigen
Bewegung beim Anziehen usw., nicht recht bald zu kommandieren. Es kann einen schnell
wahnsinnig nervös machen, vor allem, wenn wir es doch eilig haben. Bei Männern und
Vätern geht das vielleicht sogar ein bisschen schneller, sind wir doch darauf trainiert,
effizient voranzukommen, unsere Energie auf das Machbare zu richten und hohen Wert
auf eine rationale Weltsicht zu legen.
In den Kindern, die manchmal weite Strecken des Tages vor sich hin träumen können,
begegnet mir der Junge wieder, der ich einmal war – und der noch immer in mir steckt.
So zäh, wie es zuweilen wird, ein Kind in unsere von alltäglichen Erfordernissen
ausgefüllte, zweckorientierte Welt zu zwingen, so mühselig lernten wir es selbst, unsere
Träume hintanzustellen.
Dort hinten sind sie und sind nie ganz verschwunden. Sie verwandelten sich in Begriffe,
die eine mit Wünschen prallgefüllte Welt umreißen: Traumurlaub, Traumjob, Traumreise,
Traumfrau. (Daneben die Hoffnung, für andere der Traumprinz zu sein.) Fast zwangläufig
folgt auf dem Fuß die spöttische Frage: „Und wovon träumst du nachts?“
Und manch einer hat sich eine Vorstellung von dem großen Ziel erhalten: dem
Lebenstraum. Um die Welt segeln, mit dem Motorrad durch Südamerika, einen Roman
schreiben, den Job schmeißen, Ballast abwerfen, von einem verborgenen Talent leben,
zufrieden und glücklich. Nicht umsonst macht sich die Werbung solche heimlichen
Sehnsüchte zunutze. Sie klappt so gut, weil sie mit unserer Ahnung spielt, dass der ganz
große Traum doch eben – ein Traum bleiben wird. Manchmal ist es ja auch ganz gut,
wenn sich nicht alles erfüllt.
Denn mit beiden Füßen in der Realität unterwegs zu sein, ist doch eine enorm wichtige
Voraussetzung, ein befriedigendes Leben zu führen. Gerade in Zeiten, in denen virtuelle
Medienwelten unseren Wirklichkeitssinn so stark auf die Probe stellen. (Und eigentlich ist
das ja auch ein guter Grund, warum wir versuchen, unsere Kinder ins Hier und Jetzt
dessen zu holen, was vor der Nase liegt.)
Ist also der so sympathische Spruch: „Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!“,
Blödsinn? – Ganz vernünftig überlegt: Nein. Keineswegs. Unsere Kinder (und der kleine
Junge in uns) machen das schon ganz richtig. Denn wenn das Leben traumhaft sein soll,
macht träumen viel Sinn. Genau genommen tagträumen wir alle recht viel, vielleicht ist es
uns nur nicht so bewusst. (Was ja irgendwie auch wieder logisch ist…)
Und: wenn wir uns auf unsere Kinder einlassen wollen, sind wir auch auf dem richtigen
Weg, wenn wir ins Traumwandlerische eintauchen, wo sie oft anzutreffen sind. Väter und
Kindern können zusammen Quatsch machen, sie können traumverloren nachspüren,
was jetzt dran ist, was sie machen wollen. Und manchmal braucht es dafür auch keine
Worte. Abhängen, da sein, die Anwesenheit genießen.
Das sind die kleinen Träume, die die Tage füllen und die uns verbinden. Das ist sehr
entspannend, und so eine väterliche Gelassenheit kommt bei Kindern gut an. Bestimmt
ist es eine Kunst, die Leinen los zu machen, die Seele baumeln zu lassen und zugleich
präsent und miteinander verbunden zu sein im Augenblick. Es lässt sich üben. Es
bereichert. Hauptsache, es macht Spaß.