Hoch hinaus - mit tiefem Vertrauen
Dieses wahnwitzige Gefühl: eben noch ruhig und fest gehalten, dann kommt ein
mächtiger Schwung, es geht nach oben, weit nach oben – plötzlich kein Kontakt mehr,
fliegen, wow! – ein Sekundenbruchteil Schweben, alles kribbelt, und dann fallen, noch
mehr kribbeln, alles juchzt! Und dann sind wieder die großen Hände da mit sicherem
Griff und alles lacht. Und dann: „Noch mal!!“
Die Meisten werden sich nicht bewusst daran erinnern können, wenn sie das als ganz
kleines Kind erlebt haben, an dieses tolle Spiel, vom Vater in die Luft geworfen und
aufgefangen zu werden. Oder in schwindelerregender Höhe auf den Schultern getragen
zu werden. Aber tief innen bleibt die Erfahrung doch erhalten.
Was sich erwachsenen Männer einprägt, wenn sie Vater geworden sind, sind
Geschichten wie diese: Das zweijährige Kind ist auf ein Klettergerüst gestiegen. Ohne
Vorwarnung stürzt es sich herab in seine Arme. Schnell greift er zu. Und dabei spürt er
eindrücklich, was er eigentlich ja genau weiß: Da ist jemand, der oder die sich fest auf
ihn verlässt. Ganz selbstverständlich und ohne zu fragen.
Jetzt kann er sagen: „Hey, nicht so hoch! Das ist gefährlich.“ Oder signalisieren: Mach mal,
ich bin da. Jeder Vater kennt dieses manchmal unbehagliche Abwägen. Die Fragen: Was
kann ich dem Kind, was kann ich mir zutrauen?
Ob auf der Schaukel, auf dem Klettergerüst, im Sportverein oder auf der Karriereleiter –
Väter wünschen sich, dass ihre Kinder hoch hinaus kommen. Dass sie Erfolgserlebnisse
haben und voran kommen im Leben. Wurzeln und Flügel bräuchten Kinder von ihren
Eltern dafür, besagt ein gern zitiertes (fälschlich Goethe zugeschriebenes) Sprichwort.
Auch wenn Menschen wohl eher auf zwei Beinen durchs Leben Schreiten und einen
soliden Boden fürs Vorwärtskommen brauchen, stellt das klar, welch eine wichtige
Grundlage die Beziehung gerade auch zum Vater ist, es mag der leibliche oder soziale
Vater sein.
Ist er zugewandt und präsent? Vermittelt er Vertrauen und Lebensmut? Welche Werte
vertritt er, welche Erwartungen gibt er mit? Bietet sein Vorbild Orientierung? Erwachsene
Frauen und Männer tragen die Erfahrungen mit der tatsächlichen Beziehung zu ihrem
Vater wie auch mit dem inneren Wunschbild vom „guten Vater“ ein Leben lang mit sich.
Insofern verlässt einen der Vater nie.
Es kann auch schief gehen. Manche – sogar sehr erfolgreiche – Menschen werden davon
getrieben, ihrem Vater (oder dem Anspruch, der von ihm ausging) etwas beweisen zu
müssen. Gerade viele Jungen und Männer ringen zeitlebens mit einer Leerstelle, die ein
emotional abwesender Vater hinterlässt und sehnen sich nach Anerkennung. In ihrem
eigenen Vatersein stellt sie das vor besondere Herausforderungen.
Hoch hinaus und voranzukommen benötigt grundsätzlich, eine innere Basis zu finden,
zu der jemand immer wieder heimkommen kann. Das gilt für Kinder wie für Väter. Die
gegenseitige intensive Beziehung selbst kann solch eine Grundlage sein. Wer ein Kind
hoch in die Luft wirft, spürt seine Stärke und die Kraft, die in der Verantwortung ruht. Es
ist ein Band der Liebe, das beide Seiten stärkt.
Was Väter außerdem unterstützen könnte, ist bis heute noch kaum thematisiert: die
Solidarität untereinander. Das gilt ganz besonders für Fragen, Unsicherheiten und
Ängste, die das Vatersein immer mit sich bringen – gerade wenn es „modern“ und
„engagiert“ genannt wird.
Gute Vaterschaft, jene, die Kinder hoch hinaus bringt, zeichnet sich nicht dadurch aus,
alles zu wissen und alles richtig zu machen, sondern sich auch zu hinterfragen und
immer auch auf die Kinder zu schauen, auf die Situation und auf sich selbst.
Ungewissheiten aushalten ist anstrengend und ziemlich anspruchsvoll. Wer sich darauf
einlässt, findet sich im Grunde in einem Raum, den evangelische Männerarbeit (der
Initiator der Vater-Kind-Aktionen) „Glauben“ nennt – das Vertrauen, aufgefangen zu
werden.